Blog
Johannes Sommer
CEO, Retresco
Barrierefreiheit ist kein Nischenthema – sie betrifft 7,8 Millionen Menschen allein in Deutschland. Trotzdem sind laut Aktion Mensch fast zwei Drittel der größten deutschen Webshops nicht barrierefrei. Dieser scheinbare Widerspruch offenbart ein enormes Potenzial – nicht zuletzt für Medien, Publisher und Verlage. Denn, ob es um Nachrichten, Tipps und HowTos, Sport, Wirtschaft oder Wahlberichterstattung geht, verständliche Texte sind überall gefragt und wichtig, um digitale Teilhabe zu fördern.
Deshalb wird Barrierefreiheit für Medien, Publisher und Verlage immer wichtiger. Jeder Mensch, unabhängig von seinen Fähigkeiten, sollte Zugang zu Informationen haben. Ein entscheidender Schritt in diese Richtung ist die Verwendung von Einfacher und Leichter Sprache. Dank KI wird die Umsetzung barrierefreier Ansätze zunehmend effizienter und effektiver.
In diesem Beitrag zeigen wir Umsetzungsbeispiele von Einfacher und Leichter Sprache in der Praxis und geben Hinweise, wie KI eingesetzt werden kann, um die Umsetzung von Barrierefreiheit zu unterstützen.
Angebote in Einfacher oder Leichter Sprache sind aktuell noch eher rar. Obwohl es in der öffentlichen Verwaltung gesetzliche Verpflichtungen gibt und im Medienstaatsvertrag Barrierefreiheit vorgesehen ist, wird die Umsetzung von Einfacher und Leichter Sprache als herausfordernd angesehen. Dies liegt daran, dass es in der Vergangenheit mit erheblichem Zeit- und Kostenaufwand verbunden war, Texte manuell in Einfache und Leichte Sprache zu übersetzen.
Allerdings gibt es auch Medien, Publisher und Verlage, die Angebote in Einfacher oder Leichter Sprache bereits erfolgreich umsetzen:
Seit 2013 sind auf dem Webportal www.nachrichtenleicht.de vom Deutschlandfunk Nachrichten in Einfacher Sprache zu lesen und zu hören. Zudem wird an jedem Freitag ab 19:04 Uhr ein jeweils fünfminütiger Wochenrückblick in Einfacher Sprache im Hauptprogramm des Deutschlandfunks übertragen. 2021 kam ein wöchentlicher Nachrichten-Podcast in Einfacher Sprache dazu, der über die wichtigsten nationalen und internationalen Ereignisse informiert.
In Österreich bietet Der Kurier ebenfalls Nachrichten über das Weltgeschehen online in Einfacher Sprache an.
Institutionen wie der Deutsche Bundestag und die Zeitung “Das Parlament” veröffentlichen Themenhefte oder Nachrichtenzeitungen in Leichter Sprache. Das Online-Angebot in Leichter Sprache existiert bereits seit 2012 und wurde erst 2023 grundlegend erneuert.
Auch der MDR und der NDR bieten aktuelle Nachrichten in Leichter Sprache. Die Neuigkeiten in Leichter Sprache werden immer Wochentags um 13:00 Uhr veröffentlicht. Mit diesen barrierefreien Angeboten ermöglichen sie Menschen mit Behinderung die Teilhabe an ihren audiovisuellen Angeboten.
KI und neue Automatisierungs- und Bearbeitungslösungen können inzwischen grundlegend dabei unterstützen, Inhalte in Einfache Sprache zu übersetzen. Damit bestehen für Medien, Publisher und Verlage grundsätzlich keine Einschränkungen mehr, ihre aktuellen Nachrichten und Artikel barrierefrei zu generieren oder in solche Formate zu wandeln.
Um Barrierefreiheit bei Online-Angeboten zu verbessern, kann der Einsatz von KI auf unterschiedliche Weise erfolgen. Nachfolgend einige ausgewählte Use Cases:
Zur Förderung der Barrierefreiheit einer Webseite muss für jedes Bild, Grafik oder Video auf einer Website eine Text-Alternative hinterlegt werden, die den jeweiligen Inhalt präzise beschreibt. Für Menschen mit Sehbehinderungen sind diese Alternativtexte essenziell, um die Inhalte einer Webseite erfassen zu können.
KI-basierte Systeme können Bilder, Grafiken und Videos automatisiert analysieren und Beschreibungen in natürlicher Sprache generieren. Dies trägt dazu bei, die eigene SEO-Performance zu verbessern, da Suchmaschinen besser verstehen können, was in den Bildern enthalten ist. Automatisiert generierte Beschreibungen sind praktisch immer hilfreich, sollten aber sicherheitshalber überprüft werden. KI-basierte Formulierungen von Alternativtexten bieten bei einer Fülle an Material eine enorme Zeit- und Arbeitsaufwandersparnis.
Video-Plattformen wie YouTube bieten automatisiert generierte Untertitel, die auf einer Spracherkennungs-KI basieren. Auch die Video-Editor-App Power Director arbeitet mit dieser Technologie, um verschiedene Sprachen in schriftliche Text umzuwandeln. Hierbei kommt KI zum Einsatz, die die gesprochenen Inhalte in Echtzeit in Untertitel wandeln. Dies erleichtert Menschen den barrierefreien Zugang zu Videoinhalten.
Allerdings können bei automatisiert generierten Untertiteln zu Verzerrungen und Ungenauigkeiten kommen. Die KI kann etwa Wörter falsch erkennen oder die Audioqualität ist nicht ausreichend, um Eigennamen oder Fachbegriffe korrekt zu transkribieren. Deshalb ist eine menschliche Qualitätskontrolle aktuell immer noch unerlässlich.
KI kann komplexe Texte automatisiert in eine einfachere Sprache wandeln. Hierbei werden Sätze verkürzt, Fremdwörter entfernt sowie eine einfache Syntax gewandelt. Tools wie Rewrite bieten solche Funktionalitäten zur automatisierten Textvereinfachung “out of the box”.
Nehmen wir folgenden Beispielsatz: “Die Auswirkungen des anthropogenen Klimawandels manifestieren sich in einer globalen Erwärmung, die zu Extremwetterereignissen wie Dürren und Überschwemmungen führt.”
Eine KI könnte diesen Satz in einfacher Sprache so umformulieren:
“Der Klimawandel durch den Menschen führt zu einer Erwärmung auf der ganzen Welt. Dadurch gibt es öfter extreme Wetterereignisse wie langanhaltende Trockenheit und Überschwemmungen.”
Die KI hat den Satzbau vereinfacht, Fremdwörter wie “anthropogen” und “manifestieren” vermieden sowie den Satz in zwei kürzere Sätze aufgeteilt.
KI unterstützt auch alternative Bedienkonzepte wie Sprachsteuerung. Hierbei können Menschen mit motorischen Einschränkungen digitale Inhalte und Anwendungen durch Spracheingabe steuern und nutzen. KI-Systeme wie Dragon Naturally Speaking erkennen die gesprochenen Befehle und führen die gewünschten Aktionen aus.
Ein Beispiel: Ein Nutzer mit eingeschränkter Mobilität möchte einen Online-Artikel lesen. Er gibt den Sprachbefehl “Öffne den neuesten Artikel über Barrierefreiheit”, um den gewünschten Artikel aufrufen und zu lesen. Es folgen Befehle wie “Scrolle nach unten” oder “Vergrößere Text”, um durch die bereitgestellten Inhalte zu navigieren.
Obwohl KI vielfältige Möglichkeiten zur Umsetzung Leichter Sprache bietet, ersetzen KI-Lösungen nicht die Fachkompetenz von Redakteur/innen und Entwickler/innen. Vor allem die Umsetzung von Leichter Sprache ist für eine KI weiterhin eine Herausforderung, da diese im Vergleich zur Einfachen Sprache auf einem festgelegten Regelwerk basiert. Eine abschließende Prüfung durch Menschen ist zumindest momentan noch unverzichtbar, um eine durchgängig hohe Qualität und Barrierefreiheit sicherzustellen. Hierbei gilt es auch ein besonderes Augenmerk darauf zu legen, die Erstellung der Einfachen Sprache oder automatisierte Textvereinfachungen ohne größeren Aufwand in bestehende Redaktionsprozesse zu integrieren.
Die KI kann Kontexte falsch interpretieren oder Verzerrungen einschleusen. Die Qualität der KI-basierten Ergebnisse hängt deshalb ganz besonders von den vorliegenden Trainingsdaten und der Modellarchitektur ab. Zugleich sind eine sorgfältige Auswahl sowie eine regelmäßige Anpassung und Weiterentwicklung der KI-Modelle unerlässlich. Darüber hinaus müssen Datenschutz- und Persönlichkeitsrechte immer berücksichtigt bleiben.
Die Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigungen stellt auch Medien, Publisher und Verlage vor Herausforderungen. Um das Ziel barrierefreier Online-Angebote zu erreichen und Inhalte für alle Nutzer/innen zugänglich zu machen, sind Schritte wie die Verwendung Einfacher und Leichter Sprache auf Websites und in Texten unerlässlich. Die Automatisierung durch KI kann hierbei helfen und für einen beeindruckenden Effizienzschub sorgen.
Für Fragen zu Barrierefreiheit, zu Einfacher Sprache oder zum Einsatz von KI stehen wir gerne zur Verfügung. Sprich uns an!