Roboterjournalismus, auch bekannt als algorithmischer oder automatisierter Journalismus, bezeichnet die Verwendung von Daten und Computerprogrammen zur Produktion von Nachrichtenbeiträgen. Die weiteste Verbreitung findet Roboterjournalismus in Genres, für die eine große Menge an Daten verfügbar ist. Thematisch sind das Felder wie z.B. Sportberichterstattung, Finanz-News, Wetterberichte oder Verkehrsmeldungen.
Roboterjournalismus ist eine konkrete Anwendung aus dem dynamischen Bereich Natural Language Generation (NLG), einem Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz. NLG-Software kommt auch in anderen Themenfeldern zum Einsatz, etwa bei der automatischen Textgenerierung im Online-Handel, in Chatbots, für Immobilien-Exposés oder der Erstellung von Reportings.
Analog zu Texten aus der Feder eines Journalisten basieren automatische generierte Texte auf Fakten und Daten. Der entscheidende Unterschied: im Roboterjournalismus übernimmt ein Programm die Analyse, Interpretation und Organisation der strukturierten Daten. In Bruchteilen von Sekunden verarbeitet ein Algorithmus große Mengen an bereitgestellten Informationen wie Namen, Orte, Beträge, Rankings, Statistiken und andere Zahlen in einen sogenannten Storyplot.
Ein Storyplot bildet die Erzählstruktur eines Textes ab. Im Fall eines Fußballberichtes ist das die Beschreibung einer Begegnung: Wie viele Zuschauer sahen das Match? Wer erzielte die Tore? Gab es Verwarnungen? Welche Spieler wurden ausgewechselt? Die statistischen Antworten auf solche Fragen gießt eine Software in Textform und erzeugt so einen für menschliche Leser eingängig lesbaren Beitrag.
Große Datenmengen und verschachtelte Bedingungen erlauben es, zusätzliche Informationen unterzubringen und dem Text mehr Komplexität zu verleihen. Wieder das Fußballbeispiel: Mit welchen Serien aus Siegen bzw. Niederlagen gingen die Teams in das Spiel? Verbessert sich einer der Torschützen durch seinen Treffer in der Torjägerliste? Wer sind die nächsten Gegner?
Storyplots stammen nicht von einer Maschine. Welcher Dramaturgie der automatisch erzeugte Text folgt und auch, welche Formulierungen der Generator in welchem Zusammenhang verwendet, definiert im Vorfeld ein menschlicher Redakteur. Nur so lernt die Maschine domänenspezifisches Vokabular wie „lupenreiner Hattrick“, „Aluminiumtreffer“ oder „Eigengewächs“ und erhöht somit Lesbarkeit und Glaubwürdigkeit eines Textes.
Außerdem: damit in Tausenden generierten Beiträgen nicht immer die gleichen Textbausteine auftauchen, hinterlegen die Texter bei der Einrichtung des Systems verschiedene Varianten zur Beschreibung eines Phänomens. So gewährleisten intelligente Systeme ein hohes Maß an Varianz in der Texterstellung – und erstellen mit jedem Bericht einzigartigen Content.
Das Beispiel Fußball illustriert die Stärke des Roboterjournalismus. Ob Bundesliga oder Kreisklasse – Daten wie die oben genannten Fakten generiert jedes Spiel. Wo menschliche Journalisten Spielberichte zu unterklassigen Begegnungen aus Zeit- und Kostengründen nicht schreiben, ist dieser Aspekt für die Software unrelevant. Natural Language Generation-Software produziert Texte in Echtzeit und in theoretisch unbegrenzter Anzahl. Online-Medien mit regionalem Fokus sind so in der Lage, thematisch neue Bereiche zu erschließen und damit die Reichweite zu erhöhen.
Aber auch große deutschsprachige News-Portale nutzen die Möglichkeiten des Roboterjournalismus. Springer Vorstand Mathias Döpfner räumte ein, dass die Sport-Redakteure der “Welt” maschinell erzeugte Texte verwenden. Die Fußballberichte des WESER-KURIER stammen aus einer Engine, Focus Online spielt automatisch generierte Wettermeldungen aus, das Handelsblatt Börsennews.
Wo die Verlage wirtschaftlich profitieren, bemerken die Leser kaum einen Unterschied zwischen handgeschriebenen und computergenerierten Texten. In einer Studie unter Mitwirkung von Forschern der LMU München attestierten Testpersonen von Journalisten geschriebenen Texten zwar eine bessere Lesbarkeit. In punkto Glaubwürdigkeit schnitten automatisiert erstellte Beiträge jedoch höher ab.
In den USA experimentieren Online-Medien schon länger mit Roboterjournalismus. Bereits 2011 stellte die Los Angeles Times „QuakeBot“ vor, ein an den Erdbebenmeldedienst des US Geological Survey angeschlossenes System. Wenn die Engine eine Benachrichtigung über ein Erdbeben erhält, generiert es automatisch eine Story mit den wichtigsten Informationen über Zeit, Ort und Größe. Die Innovation fand erstmals im Jahr 2013 breite Anerkennung, als die Lösung bei einem Erdbeben der Stärke 4,4 in Südkalifornien die ersten Meldungen überhaupt produzierte.
Die Washington Post setzte das hauseigene Tool „Heliograf“ ein, um im Rahmen der Olympischen Spiele 2016 automatisiert Updates im internen Live-Blog und dem Twitter-Kanal zu veröffentlichen. Nach dem erfolgreichen Test, berichteten die Roboter von Begegnungen aus dem nordamerikanischen High School Football und der US-Wahl im November des gleichen Jahres.
Die Nachrichtenagentur Xinhua zeigte im November 2018, in welche Richtung sich Roboterjournalismus entwickeln könnte. In einem knapp zweiminütigen Clip präsentiert ein virtueller Anchorman Nachrichten und die dazugehörigen Bilder. Der Avatar weist darauf hin, dass er sich noch im Entwicklungsstadium befindet und noch viel zu verbessern sei. Fernsehjournalisten bleibt die Diskussion um einen Austausch von Menschen durch Animationen erspart – zumindest für absehbare Zeit.
In der Kreisklasse B in Hamburg spielt mit Eintracht Fuhlsbüttel ein Fußballverein, der Roboterjournalismus vor eine Herausforderung stellt. Das Team besteht aus Insassen einer Haftanstalt, bestreitet ausschließlich Heimspiele und darf nicht aufsteigen. Einem System, für den der Standardfall darin besteht, dass eine Mannschaft gleich viele Heim- wie Auswärtsspiele austrägt, muss dieser Sonderfall explizit antrainiert werden.
Roboterjournalismus hat klare Vorteile, wenn es darum geht, Content für Routine-Berichterstattung effizient und in großer Menge zu erstellen und damit thematische Nischen abzudecken. In der Beschreibung von nicht-standardisierten Phänomenen, für Hintergrundberichte, Interviews oder Meinungen werden Journalisten aus Fleisch und Blut aber auch in Zukunft unverzichtbar bleiben.
Auf einen Anteil von 20% schätzte der ehemalige Chefredakteur von Bloomberg John Micklethwait den Anteil von automatisiert erstellten Inhalten am Content-Mix der Zukunft. Ob und wann diese Zahl erreicht wird, bleibt abzuwarten. Fakt ist schon heute, dass journalistisches Arbeiten jenseits der digitalen Möglichkeiten mittlerweile fast undenkbar ist, nicht nur, weil Suchmaschinen für Journalisten aller Fachgebiete zu den wichtigsten Quellen bei der Recherche gehören.
Experten prognostizieren, dass sich Technik und Mensch auch im Journalismus zukünftig noch stärker ergänzen, etwa wenn es darum geht, die Entscheidung für die Produktion von Inhalten stärker als bisher datenbasiert zu treffen. Entgegen von Abwehrreflexen aus der schreibenden Zunft werden Algorithmen somit keineswegs den traditionellen Journalisten ersetzen. Vielmehr bietet Roboterjournalismus die Chance, Menschen von Routinearbeiten zu entlasten und mehr Zeit für Qualitätsinhalte zu schaffen.
Die Taschenlampe des mündigen Bürgers (Welt)
China launches AI 'virtual' news anchor on Xinhua network (Evening Standard)